Frische Bezüge, Altonaer Museum Hamburg, 1995

„Grabenkahn“ im Trachtensaal des Altonaer Museums

Auf dem breiten Mittelgang des Trachtensaals im ersten Stock ist ein Altländer Grabenkahn aufgestellt. Das altersdunkle, aus Eichenholz gebaute schwere Boot war noch bis in die 1930er Jahre hinein in den Gräben und Wettern der Marschen in Gebrauch. Man transportierte darin Heu und vor allem Obst, das von den Marschhöfen bis an die Elbe geschafft wurde, u von dort mit größeren Schiffen auf dem Wasserweg nach Hamburg transportiert zu werden Im Trachtensaal, mit den bürgerlichen Kostümen auf der einen und den ländlichen Trachten auf der anderen Vitrinenseite stellt der Kahn sozusagen das verkehrstechnische Verbindungsglied zwischen Stadt und Land dar.

Für die Inszenierung von Annette Venebrügge bleiben diese volkskundlichen Zusammenhänge jedoch weitgehend außer Betracht. Die Künstlerin richtet ihr konzentriertes Augenmerk auf die skulpturale Form, die Maße und das Material des Bootes. Sie ummantelt das mit Eisenspanten und Kupfernieten wie für die Ewigkeit zusammengehaltene Boot mit dem modernen Industriestoff Styropor. Schneeweiße, der Bootslänge von 7.32 Metern angemessene Styroporschalen lassen das historische Objekt verschwinden und betten es in eine Quaderform ein. Lediglich die lanzettförmige Öffnung, die in der Deckplatte ausgespart wird, gestattet einen Blick in das Innere des Bootes und auf den dunkelgebeizten Boden, der nun wie eine eingelassene hölzerne Schale in dem weißen Styroporpodest erscheint.

Die Künstlerin spielt mit den Präsentationsgewohnheiten eines Museums und stellt sie auf den Kopf: „In der Umkehrung der Funktion eines Sockels wird hier der zu zeigende Gegenstand nicht erhöht, sondern versenkt. Dennoch erfüllt auch diese Verschalung den Zweck, etwas aus der Umgebung herauszulösen, um es mit konzentriertem Blick betrachten zu können. Der ausgestellt Gegenstand ist jetzt allerdings nicht mehr das funktionale Objekt „Boot“, sondern, reduziert auf den Innenraum, dessen ästhetische Erscheinung: die Proportionen, die Form- und Materialsprache. 

Das Boot wird zur Skulptur, der Museumsgegenstand wie ein High-Tech-Produkt verpackt. Die gänzlich veränderte ästhetische Erscheinung führt die Urform des beeindruckenden gewaltigen Bootskörpers neu vor Augen und möchte das Nachdenken über Form, Funktion und Skulptur anregen.

Die Installation von Annette Venebrügge spielt darüber hinaus auf das Dilemma der Musealisierung kulturgeschichtlicher Gegenstände an und wirft die Frage auf, ob denn die Funktion eines Gegenstands hinüberzuretten sei in den Museumskontext, der ihn notgedrungen von seinem Gebrauchszusammenhang loslöst. (Bärbel Hedinger)